Ausgangspunkt für unsere Befragung waren Zeitungsmeldungen, denen zufolge es an der Berufsschule das meiste Cybermobbing gäbe, weit mehr als an allen anderen Schularten. Angeblich hätten erschreckende 70% der Berufsschüler eigene Erfahrungen mit Cybermobbing.
Diese Zahlen erschienen den meisten Schülern und Lehrern an unserer Schule viel zu hoch.
Daher haben wir, die "Befragungsgruppe" der Klasse BK12F, im März 2014 die Mobbingerfahrungen der Schülerinnen und Schüler an unserer Schule mit Hilfe einer groß angelegten Befragung untersucht (Ergebnisse siehe unten).
"Liebe Pap und Mam, ich wurde mein ganzes Leben lang verspottet, gemobbt, gehänselt und ausgeschlossen. Ihr seid fantastisch. Ich hoffe, dass ihr nicht sauer seid. Auf Wiedersehen, Tim".
Wer diese Worte liest, befürchtet das Schlimmste. Und die Befürchtung bewahrheitete sich. Tim Ribbernik, aus dessen Abschiedsbrief das Zitat stammt, nahm sich das Leben.
Auch der Fall von Amanda Todd (15) machte Ende 2012 die Runde und wurde durch das von ihr veröffentlichte Youtube- Video weltweit bekannt. Ein Hilferuf, der zu spät kam.
Der Facebook-Mord dürfte mittlerweile auch allen bekannt sein. Eine Schülerin und ihre Freunde haben auf Grund eines Facebook-Posts des Opfers einen Jungen engagiert, der dem Mädchen auflauerte und es vor seinem Haus erstach.
Dies sind nur drei Beispiele für die signifikanten Auswirkungen von Mobbing in der heutigen Zeit, meist kombiniert und verstärkt durch oder ausschließlich durch Cyber-Mobbing.
Die erschreckenden Schlagzeilen häufen sich zunehmend, wobei eine große Dunkelziffer der Opfer, die sich nicht trauen an die Öffentlichkeit zu gehen oder deren Schicksal nicht so aufrührend ist, wie das der „berühmten Opfer“, dazugerechnet werden muss.
Es scheint so, als könne die heutige Generation ohne ständigen Online-Zugang oder technischem Medium in der Hand nicht mehr auskommen. Der Umgang mit diesen will allerdings gelernt sein, was viele der oben genannten Beispiele zeigen. Natürlich: Mobbing gab es immer und wird es immer geben, aber das Cyber-Mobbing bietet der Gesellschaft eine vollkommen neue Plattform zu schikanieren, bedrohen, beleidigen, kränken und verachten. Die Anonymität des Netzes lässt zu, dass sich viele Täter sicher fühlen und ihre Opfer umso stärker drangsalieren. Zudem bieten die Sozialen-Netzwerke und Co. eine große Bandbreite an Mittätern. So entsteht teilweise eine Art Schneeball-Effekt, ausgelöst durch den ersten Angriff, der immer mehr Täter dazu inspiriert mitzumachen.
Eine weitere große Gefahr besteht darin, dass sich die Opfer nicht mehr zurückziehen können. Wurde man
früher am Schulhof gemobbt, konnte man sich zu Hause sicher fühlen und zurückziehen. Opfer, die sich dafür schämten, konnte in anderen Freundeskreisen –abseits des Umfeldes in dem das Mobbing
stattfand – zur Ruhe kommen und sich wohlfühlen. Durch die Öffentlichkeit des Cyber-Mobbings ist dies nicht mehr möglich. Das Handy und der heimische PC sind Angriffsplätze. Chat-Rooms, in denen
man sich mit gleichgesinnten unterhalten möchte werden zum Schauplatz von Bedrohungen, falschen Anschuldigungen und mehr. Jeder Kontakt in Facebook kann sehen, was die Täter schreiben und so wird
jeder der Bekannten sich ein Bild von einem machen. Schützen kann man sich kaum. Die Beiträge zu löschen und die Täter zu ignorieren verschafft keine vollkommene Abhilfe. Die Angriffe können so
häufig sein, dass man sich nicht mehr wehren kann. Verheimlichen ist unmöglich. Des Weiteren kann hinzukommen, dass die eigene Identität geklaut wird, in dem z.B. der Benutzer-Account gehackt
wird oder der Täter sich unter falschen Namen bei Plattformen registriert und mit der Identität des Opfers Beiträge schreibt.
In der Praxis weitet sich das Cyber-Mobbing auf das reale Leben aus und man ist auch „in Echt“ nicht mehr sicher. Die psychischen Schäden für die Opfer sind erheblich und reichen nicht selten bis
zu einem Suizid.
Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre kamen zu folgenden Ergebnissen:
<<Generell geben nämlich ganze 17% der befragten Jugendlichen an, sich als Opfer von Mobbing zu fühlen..... gleichzeitig geben 19% zu, schon mal selbst gemobbt zu haben, und dies vor allem aus den simplen Gründen wie "Langeweile" (35%) oder "zum Spaß" (33%). Weitere unverständliche Gründe die angegeben wurden, waren "aus schlechter Laune" (16%) oder "weil es cool ist" (10%).>> (Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 17.05.2013, S. 6)
Zunächst galt es also, sich allgemein mit dem Thema Mobbing zu befassen. Im Zuge dessen nutzten wir den Unterricht unseres Projektleiters, Herrn Dr. Kührt, um einen Film über Mobbing -herausgebracht vom Opferschutz dem Weißen Ring- anzusehen. Dadurch haben wir einen Einblick in das Thema bekommen und konnten uns in etwa vorstellen, in welche Richtung wir gehen möchten.
Letzten Endes teilte sich die Klasse in zwei Gruppen. Eine Gruppe erstellte einen Film über Mobbing und unsere Gruppe spezialisierte sich auf das Thema Cyber-Mobbing, provoziert durch erwähnte Studie.
Nach einem kurzen Brainstorming wurden die Aufgaben gerecht unter den Mitgliedern der Gruppe verteilt. Zunächst mussten wir allerdings eine allgemeine Richtung finden, unter der wir Cyber-Mobbing definieren wollten.
Wir sind übereingekommen, dass sich Cyber-Mobbing auf alle Angriffe gegen Personen bezieht, die im Internet oder per Handy (SMS, Anrufe, APPS etc.) stattfinden.
Sofort machte sich ein Großteil der Gruppe an die Ausarbeitung der Fragen.
Die Umfrage sollte so eindeutige Ergebnisse liefern wie möglich, weshalb es nur wenige offene Fragen gibt. Dennoch wollten wir auf einige offene Antworten nicht verzichten, um einen möglichst
guten Eindruck davon zu bekommen, wie die Schüler das Thema erleben und welche Meinungen sie vertreten. (z.B.: Kannst du dich in die Opfer hineinversetzen? Aus welchen Gründen würde Cyber-Mobbing, das du miterlebt hast, betrieben? )
Danach wurde der Umfragebogen mit Hilfe von Google-Docs digitalisiert und aufbereitet, sodass wir die Möglichkeit haben die einzelnen Klassen im EDV-Raum zu befragen und sofort ein Ergebnis
geliefert zu bekommen.
Anschließend fand ein Testlauf mit einer Klasse statt (Gibt es Fragen, die falsch verstanden wurden? Wie sehen die Antworten bei den offenen Fragen aus?). Dadurch bekamen wir auch einen Eindruck von dem Aufwand der Auswertung und konnten den Prozess optimieren, sodass wir bei größeren Datensätzen einen sicheren Ablauf haben und die Ergebnisse schnell und richtig zusammenfassen können. Zudem dient die Probebefragung dazu, eine Kategorisierung für die Bewertung der der offenen Fragen zu finden. Ziel hierbei ist es die Ergebnisse kompakt und übersichtlich ermitteln zu können.
Schließlich konnten wir in die „Massenbefragung“ einsteigen, die an zwei Schultagen zeitgleich in zwei EDV-Räumen durchgeführt wurde.
Anschließend begannen die Auswertung und die Übertragung der Ergebnisse auf unsere Website.
Wir hoffen mit unserer Befragung einen Beitrag zur Diskussion über Mobbing an Schulen in Deutschland geleistet zu haben.
Besonders wichtig war uns der Nachweis, dass die in den Medien verbreiteten Zahlen über Mobbing an Berufsschulen, zumindest für unsere Schule, übertrieben und falsch sind. Dieser Nachweis ist uns auch gelungen (vgl. Befragungsergebnis).
Hier ist der Link zum Fragebogen... Einfach ausfüllen, absenden und das Fenster wieder schließen...
https://docs.google.com/forms/d/18QtoowgecKRLhv8ohJlHtOrKXfYV--FAOKGyULjqsm0/viewform
(der Fragebogen kann noch aufgerufen werden, die Befragung ist allerdings abgeschlossen)
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Insgesamt stützt sich unsere Auswertung auf insgesamt 331 Befragte (=Schülerinnen und Schüler der Berufsschule 4 Nürnberg).
Die Struktur der Befragten war wie folgt:
(AK=Automobilkaufmann, BK=Bankkaufmann, GH=Großhandelskaufmann, IK= Industriekaufmann, ST=Steuerkaufmann, VS=Versicherungskaufmann, BGA=Berufsgrundausbildungsjahr, EQ=Einsteigsqualifizierung, MS=Markt- und Sozialformschung)
Das wichtigste Ergebnis unserer Untersuchung ist, dass 13% der Befragten selbst Erfahrungen mit Cybermobbing als Betroffene haben (vgl. Abb. 2). Dies liegt unter bzw. am unteren Ende aller vergleichbaren wissenschaftlichen Untersuchungen, deren Werte zwischen 12% und 36% schwanken.
Berufsschulen haben also vermutlich keine höheren Cybermobbing-Werte als andere Schularten aufzuweisen. Zumindest für kaufmännische Berufsschulen belegen dies untere Zahlen.
Die in den Medien genannte Zahl von 70% Cybermobbing an Berufsschulen ist nach unseren Befragungsergebnissen völlig übertrieben und unrealistisch (vgl. Ausgangspunkt).
Was allerdings bei unseren Befragten sehr hoch ausgefallen ist: 55% der befragten Schüler sagen, dass sie Cybermobbing schon bei anderen erlebt haben (vgl. Abb. 4).
Erschreckend ist, dass die meisten Befragten vermuten, dass vor allem aus Langeweile gemobbt wird.
Eindeutig ist auch die Meinung der Befragten, dass die meisten Cybermobbing-Attacken per Facebook erfoglen.
Mobbing auch außerhalb der Schule
Bei der Beantwortung der offenen Fragen weisen viele der Befragten darauf hin, dass auch außerhalb von Schule und Ausbildung Leute gemobbt werden, auch von "Freunden" im privaten Kreis und auch von "Kollegen" am Arbeitsplatz. Es werden Gerüchte verbreitet, gedroht und es kommt auch zu körperlichen Auseinandersetzungen. Das geht oft soweit, dass die Gemobbten sich nicht mehr in die Schule oder den Betrieb trauen oder diese verlassen.
Kannst du dich in die Betroffenen hineinversetzen? Wenn ja, inwiefern?
80% der Befragten können sich in die Situation gemobbter Jugendlicher hineinversetzen.
Die dabei am häufigsten vorkommenden Begründungen sind, dass diese Personen: „hilflos sind“, „sich verletzt fühlen“, „ausgeschlossen werden“ und „ein sinkendes Selbstbewusstsein spüren“.
Dass sich fast alle Befragten gut in die Situation Gemobbter hineinfühlen können, zeigen vor allem die Antworten auf die offenen Fragen:
Ich kann mir auch vorstellen, dass sie den Grund, weshalb sie gemobbt werden, bei sich selbst suchen und versuchen, dadurch auch noch zu ändern, obwohl das von den Personen, die Cybermobbing betreiben, oft eine Bestätigung für ihr Ego ist , weil sie so "Macht " über eine andere Person haben.
Auch die Aussagen der Befragten zum Verhältnis der Schüler untereinander sind für unsere Schule einigermaßen beruhigend: 86% fühlen sich in der Klasse akzeptiert, nur 8% meinen, dass über sie schlecht geredet wird.
95% der Befragten sagen, dass an Berufsschulen in den Klassen nicht mehr gemobbt wird als an anderen Schulen.
Alarmierend ist nur die Zahl von 2%, die aussagen, dass sie sich in der Klasse bedroht fühlen.
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PS Medienresonanz: Wenige Tage nach der Umfrage waren wir bereits unter "Schülerbefragung Mobbing" und "Schülerbefragung Cybermobbing" und sogar unter "Umfrage Cybermobbing" bei Google auf Seite 1 (Stand: 17.07.2014).